Samstag, 10. Mai 2014

Jekyll & Hyde, Kassel 2014

Am 10.05.2014 stand Frank Wildhorns "Jekyll & Hyde" in der Inszenierung des Staatstheaters Kassel bei mir auf dem Spielplan.



Das Musical nach der Buchvorlage von Robert Louis Stevenson habe ich ja schon mehrfach in verschiedenen Inszenierungen gesehen und die Geschichte müsste eigentlich bekannt sein, deshalb halte mich mich jetzt nicht lange mit dem Vorgeplänkel auf. Wer mag, kann gerne in meinen alten Blogs zu der Tour 2011, bzw. der Aufführung in Hagen im Jahr davor stöbern --> Link

Das Staatstheater in Kassel zeigt das Musical in sehr ungewöhnlichem Gewand. Die Kulisse ist extrem minimalistisch. Es gibt LED Tore, beleuchtete, aber leere Räume, es wird mit Licht und Schatten gearbeitet, ansonsten wird aber weitestgehend auf Bühnenbild und Requisite verzichtet. Der Fokus liegt auf den Hauptsarstellern und dem Tanzensemble.
Wie ich immer wieder gerne betone, ist für mich wenig oft mehr. Allzu pompöse Bühnenbilder lenken mich meist zu sehr vom Geschehen ab. Trotzdem bin ich mir immer noch unsicher, was ich von dieser -sehr modern angehauchten- Inszenierung halten soll. Für mich hatte die Aufführung tatsächlich eher etwas von einer konzertanten Fassung.
Ich bin froh, dass ich das Stück bereits in anderer Form kennengelernt habe. Wäre ich völlig "unbedarft" ins Theater gegangen, weiß ich nicht, ob ich der Handlung problemlos hätte folgen können.
Um dem Zuschauer die Geschichte näher zu bringen, setzt man in Kassel eine sehr skurile Drag-Queen namens "Baby Jane" als Erzählerin ein.
Dies ist sicher hilfreich, insbesondere, weil es kaum gesprochenen Text gibt und die Lieder alle auf englisch gesungen werden (mit Übersetzung am oberen Bühnenrand).

Ich war zunächst etwas irritiert von all dem, hab mich dann aber einfach zurückfallen lassen und die Performance der Songs genossen. Vom musikalischen Standpunkt gesehen ist die Kasseler Version nämlich fantastisch.

Die Hauptdarsteller überzeugen fast alle durch unglaublich schöne und voluminöse Stimmen.
Allen voran Dr. Jekyll/Mr. Hyde alias David Arnsperger - für den alleine sich der Besuch schon gelohnt hat. Wenn er anfängt zu singen, ahnt man was für ein großartiges Phantom der Oper er in Hamburg sein muss.
Auch sein Freund John Utterson --> Andreas Wolfram, weiß durch Gesangsqualität zu überzeugen. Der weibliche Gesangsstar ist eindeutig Susan Rigvava-Dumas als Lucy Harris. Optisch passte sie für mich nicht ins übliche Rollenprofil. Lucy ist "normalerweise" ein junges, verarmtes Mädchen aus dem Rotlichtmilieu. Susan spielt ihre Lucy aber als gestandene Nachtclubsängerin in den mittleren Jahren. Ich war zwar erstmal irritiert, aber andererseits... wer sagt denn, dass Lucy ein Mädchen sein muss? Susans gesanglichen Qualitäten haben mich ohnehin schnell für alles entschädigt.
Neben ihr wirkt der andere weibliche Part Emma Carew (Julia Klotz) zwar solide gut, aber doch etwas blasser.
Lona Culmer-Schellbach als Nellie hat mir nicht ganz so gut gefallen. Insgesamt wirkt aber das gesamte Ensemble sehr gesangsstark und auch die tänzerischen Szenen fand ich sehr gelungen.
Man muss trotzdem die bisherigen Aufführungen des Stücks gedanklich beiseite schieben, dann kommt man in Kassel durchaus auf seine Kosten.

Ob ich mit der Inszenierung wirklich glücklich bin............ ich weiß es nicht! Doch ich liebe die Musik von Frank Wildhorn und halte Jekyll & Hyde für eines seiner stärksten Stücke. Deshalb hat es mir wirklich gefallen, dass ich die tollen Lieder in so hochwertiger Form genießen durfte.

Freitag, 9. Mai 2014

Next to Normal, Hildesheim

Nachdem mir das Stück in Fürth gut gefallen hatte, wollte ich "Next to Normal - Fast Normal" gerne nochmal in einer anderen Inszenierung sehen.
Die Gelegenheit bot sich in Hildesheim, wo sich das Theater für Niedersachsen des Stoffes angenommen hat.

Im Vordergrund der Geschichte steht die Familie von Diana Goodman, die unter einer bi-polaren Störung leidet. Sie hat manische und depressive Phasen und sogar Wahnvorstellungen. Sie kämpft mit Medikamenten dagegen an, die zwar helfen, allerdings andere, unerwünschte Nebenwirkungen nach sich ziehen. So schlittert sie von einer Therapie zur nächsten und keiner kann ihr wirklich helfen. Auch ihre Familie leidet unter ihrer Krankheit. Jedoch geht jeder auf seine eigene Weise damit um.
Ich will nicht allzu tief in die Handlung eintauchen, weil ich jedem die Gelegenheit lassen möchte, die Geschichte der Goodmans für sich selbst zu entdecken.
Das Stück hat sowohl ernste, als auch humorvolle Momente. Trotz des teils schweren Themas ist es unterhaltsam und jede Person auf der Bühne trägt dazu bei, dass der Zuschauer einen tollen Musicalabend erlebt.


TfN- Theater für Niedersachsen, Hildesheim/Hannover

In Fürth präsentierte man eine Cast "der großen Namen" (Pia Douwes, Thomas Borchert, Sabrina Weckerlin, Dirk Johnston, Dominik Hees & Ramin Dustdar).
Ich habe allerdings festgestellt, dass es mir zunehmenend schwer fällt, eine Rolle ganz unabhängig vom jeweilige Darsteller zu sehen, wenn ich manche Darsteller schon in -zig anderen Rollen oder auf Konzerten erlebt habe. Deshalb hat mich persönlich, die "Starbesetzung" in Fürth eher vom eigentlichen Stück abgelenkt. Ich hatte außerdem das Gefühl, dass einem großen Teil des Fürther Publikums die Darstellerriege wichtiger war, als die Geschichte selber. Das war ein subjektiver Eindruck mit dem ich hier niemanden angreifen möchte. Fakt ist, dass ich nie ganz unabhängig sagen konnte, ob die enthusiastischen Begeisterungsstürme in Fürth (zwischenzeitlich stellte sich die Frage: "Bin ich auf nem Popkonzert"?) der jeweiligen Rolle, dem Darsteller oder der Geschichte galten. Mir war es wichtig mich noch einmal völlig neu und völlig unvoreingenommen auf "Next to Normal" einzulassen.

Es zeigte sich, was ich bereits geahnt und gehofft hatte. Auch andere Theater haben überzeugende Darsteller und es sind nicht immer "große Namen" die einen bis ins Mark erschüttern können. Im Gegenteil. Es tat richtig gut - gerade bei diesem Stück - die Rollen noch einmal ganz losgelöst erleben zu dürfen.
Und diese Rechnung ging für mich sowas von auf!
 

Die Cast in Hildesheim stand gesanglich und darstellerisch dem Ensemble aus Fürth in nichts nach. Gerade Caroline Kiesewetter als Diana, Jonas Hein als Gabe und Caroline Ziens als Natalie haben in ihrem Zusammenspiel (das szenenbedingt auch mal ein "Nebeneinanderherspiel" ist) für mich ein großes Ausrufezeichen gesetzt. Noch öfter als in Fürth hatte ich mit den Tränen zu kämpfen, gleichzeitig gab es viele anrührende und humorvolle Szenen, die mir beim zweiten Mal noch stärker mitgenommen haben. 
Caroline Kiesewetter spielt Diana mit der nötigen Hingabe. Mal aufgedreht, mal verzweifelt, fragil und gleichzeitig stark. Man nimmt ihr in jeder Sekunde ab, dass sie eine Frau am Rand von allem ist - kurz davor sich selbst zu verlieren, oder sich selbst zu finden - je nach dem wie sich ihre psychische Störung gerade bemerkbar macht. Besonders beeindruckt und mitgenommen hat mich die Beziehung zwischen ihr und ihrer Tochter Natalie, die ihr Leben lang, das Gefühl hat aufgrund der Krankheit ihrer Mutter zu kurz zu kommen und neben ihrem Bruder immer nur die zweite Wahl zu sein. Beide Frauen überzeugen auch gesanglich durch volle, sehr angenehme Stimmfarben, die großartig harmonieren. Es ist natürlich immer Geschmackssache und ich will auch gar nicht an Pia Douwes Thron rütteln, aber mir persönlich liegt die warme, klare Stimme von C. Kiesewetter mehr. Und so sehr ich Sabrina Weckerlin als Darstellerin schätze - ich muss sagen, dass Caroline Ziens die Rolle der Natalie für mich mindestens ebenso gut ausgefüllt hat. Eine tolle Stimme und ein sehr intensives Spiel, das die Rolle des "vernachlässigten" Wunderkindes für mich noch greifbarer gemacht hat.
Auch in die Stimme von Jonas Hein als Gabe habe ich mich auf den ersten Ton verliebt. Er singt und spielt unglaublich ausdrucksstark. Er ist mal der Helfer in der Not, der seiner Mutter Halt gibt. Dann wieder ist er der teuflische Strippenzieher, der seine Familie ins Unglück stürzt und sich nicht vertreiben lässt. Er hat eine irrsinnige Bühnenpräsenz, selbst dann, wenn er nur im Hintergrund agiert. Der Song "Ich leb" war eines der vielen Highlights des Abends!
Auch die weiteren Ensemble Mitglieder lassen keine Wünsche offen. Tim Müller als Henry ist der perfekte Haschisch-MacGyver und der absolut richtige Freund für Natalie. Man möchte fast sagen: Jeder sollte einen Henry haben! Er ist einfach da. Er ist nicht außergewöhnlich, aber da sein, ist genau das was Natalie braucht. Tim Müller spielt unaufdringlich und damit genau auf den Punkt.

Auch Alexander Prosek macht als Dan Goodman einen guten Job. Dan ist ein Meister der Verdrängung, er kann ohne seine Frau nicht leben, will ihr helfen, aber in erster Linie will er, dass alles "normal" ist. Alexander Prosek spielt den Ehemann und Vater und seine Rolle in der Rolle mit Hingabe und Authenzität und ist ebenfalls gesanglich überzeugend. 
Jens Plewinski als Dr. Fine/Dr. Madden rundet das Ensemble perfekt ab.

Das Bühnenbild ist einfach, aber effektiv gestaltet. Es weicht von der Bühnenkonstruktion in Fürth (und der am Broadway) ab. Hier wird mit einer Drehbühne gearbeitet, um verschiedene Zimmer im Haus der Goodmans, aber auch der Schule oder der Arztpraxen/Krankenhäuser zu suggerieren. Ähnlich wie in anderen Produktionen gibt es verschiedene Ebenen. Die einzelnen Orte werden eher angedeutet - im Vordergrund stehen immer die Personen und die Geschichte - was mir persönlich sehr gut gefällt.

Die Inszenierung des TfN weiß in allen Punkten zu überzeugen und beschert dem Zuschauer einen perfekten Musical-Abend mit einem sehr ungewöhnlichen Stoff, den man nicht alle Tage auf einer Musicalbühne zu sehen bekommt. Es ist die Geschichte einer Familie am Rande der Normalität und gerade dadurch vielleicht eines der authentischten Musicals, die in den letzten Jahren produziert wurden. 


Unbedingt ein Stück, das man sich ansehen sollte und das eindrucksvoll zeigt, wie vielschichtig das Genre "Musical" sein kann.
So hat es auch das Hildesheimer Publikum gesehen, denn am Ende gab es frenetischen Beifall und verdiente Standing Ovations. Offensichtlich funktionieren also auch hierzulande Stücke mit Ecken und Kanten, mit schwerer Kost, die aber abewechslungsreich und sehr gut verpackt ist und den Zuschauer emotional mitzunehmen weiß.

Ob nun in Fürth, oder in Hildesheim - Next to Normal/Fast Normal ist ein Musical, das sich niemand entgehen lassen sollte.