Freitag, 21. Juni 2013

Les Miserables, Magdeburg 2013 (Premiere)

Über meine Besuche in London habe ich vor einiger Zeit folgendes geschrieben:

"Für mich ist Les Misérables eins der schönsten Musicals die es gibt! Unglaublich emotional mit sehr vielen musikalischen Highlights (Mir gefällt sehr, dass es -wie früher üblicher als heute- komplett durchkomponiert ist). Dieses Musical ist ein Klassiker, der seines Gleichen sucht! Es wird wirklich Zeit, dass dieses Musical auch mal wieder in Deutschland gespielt wird."

Lange mussten wir uns gedulden, doch dieses Jahr kam hierzulande nicht nur die lang ersehnte Verfilmung in die Kinos, nein - endlich gibt es auch die Gelegenheit das Stück wieder Live zu erleben!
Das Theater Magdeburg zeigt vom 21.06-20.7.2013 eine Neuinszenierung des Schönberg/Boublil Stücks vor ganz besonderer Kulisse.

Freilichttheater haben immer eine eigene Atmosphäre. Das Domplatz Open Air findet direkt vor dem Magdeburger Dom statt. Das tolle Bühnenbild und die natürliche Bühnenumgebung ergänzen sich dabei aufs beeindruckenste. Von der Zuschauertribühne aus hat man sowohl die halbrunde Holzkonstruktion, als auch den Dom selbst im Blick, der durch Illumination der Fenster in die Handlung mit einbezogen wird.



Die Bühnenkonstruktion kann man durchaus als Geniestreich bezeichnen. Sie wird zum Teil auf drei Ebenen bespielt. Zwei Elemente können verschoben werden und geben den Blick z.B. auf das Innere von Fantines Zimmer oder den Raum des ABC Cafés frei, in dem die Stundenten ihren Aufstand planen. So ist die Kulisse auch ohne die übliche Drehbühne, wie man sie normalerweise im Stück verwendet, sehr wandelbar. Zusätzlich überzeugt die Inszenierung durch tolle Ideen. Bei "Morgen schon" stehen alle Darsteller auf verschiedenen Ebenen der Bühne. Im Verlauf des Liedes wird eine überdemensionlae Frankreichfahne über alle drei Ebenen gespannt, durch die im Gegenlicht die Silhouetten der Darsteller scheint - Ein wahnsinnig schöner Effekt. Ich liebe dieses Lied und kriege regelmäßig Gänsehaut. Als Liebhaber der Londoner Inszenierung fand ich es zwar ein bisschen schade, dass hier niemand auf der Stelle marschierte, was mir regelmäßig die Tränen in die Augen treibt. Aber ohne Drehbühne wäre dies wohl ohnehin nicht ganz so effektvoll - zudem war die hier gezeigte Szene sehr beeindruckend und stimmig, so dass ich erst gar nicht anfange zu vergleichen.

Unbezahlbare Special Effects schickte außerdem der Himmel, der ebenfalls ein Musicalfan sein muss. Das Stück begann um 21 Uhr bei strahlendem Sonnenschein. Im Verlaufe des Musicals konnte man den Himmel dunkler werden und den Mond aufgehen sehen. Im zweiten Akt wurde mancher Zuschauer vom Geschehen auf der Bühne abgelenkt, als sich über den Zinnen des Doms ein Schauspiel ganz besonderer Art abspielte. Ein unglaublicher Vollmond kämpfte sich direkt über dem Kirchendach durch aufziehende Wolken und beschien das ergreifende Treiben auf der Bühne. Was für ein gruselig-schöner Anblick, der zusätzlich für meterdicke Gänsehaut sorgte. Auch die Turmuhr schien eine Oscarreife Nebenrolle zu spielen. Zusammen mit ein paar wohlplatzierten Regentropfen schlug sie Mitternacht als zum Ende des Stücks Jean Valjeans letztes Stündlein geschlagen hatte. 

Apropos Jean Valjean - Jetzt habe ich schon sehr viel über Kulisse und Bühnenbild geschrieben und noch nicht ein Wort über die Besetzung verloren. Es wird Zeit dies nachzuholen. Denn die Inszenierung überzeugt nicht nur mit "Äußerlichkeiten", sondern auch durch eine sehr gute Cast.
Im Vorfeld hatte ich einige Male gesagt, dass ich mir Thomas Borchert eher als Javert und weniger als Valjean vorstellen kann - Während des Stückes hat er mich eines Besseren belehrt. Sowohl gesanglich, als auch darstellerisch ist er der Rolle des Gefangenen 24601, der sich seinen Platz als Jean Valjean erkämpft durchaus gerecht geworden.
Auch Markus Liske, den ich bisher gar nicht kannte, überzeugt in seiner Rolle als ordnungstreuer und unerbittlicher Polizeichef und Gegenspieler Javert. Es war toll "Sterne/Stars" mal wieder in gewohnt klassischem Gewand zu hören (ohne dass ich jetzt kritisch über die Country/Rockstimme von Russel Crowe debattieren möchte).
Besonders berührt haben mich Bettina Mönch als Fantine und Christina Patten als Eponine. Ihre Haupttitel "Ich hab geträumt" und "Nur für mich allein" kenne ich schon seit ich musicalistisch denken kann und habe beide Lieder schon in sehr vielen Interpretationen gehört - von Heidi Brühl bis zu den unglaublichen Leading-Ladys im Westend - Und immer wieder ergreifen mich die Lieder aufs Neue. Beide Darstellerinnen zeichnen sich durch sehr angenehme Stimmen aus und auch ihr Spiel, besonders in den jeweiligen Todesszenen hat mich sehr mitgenommen.
Gott sei Dank gab es mit dem Gaunerpaar Thenardier (Peter Wittig und Gabriele Stoppel-Bachmann) auch immer wieder Szenen zum Schmunzeln, die den traurigen Grundtenor des Stücks ein bisschen auflockern.
Der freche Straßenjunge Gravoche wird aus Jugendschutzgründen in Magdeburg nicht mit einem kleinen Jungen besetzt, sondern wird von einer Frau gespielt. Zwei Darstellerinnen teilen sich diese Rolle und leider weiß ich nicht, ob bei der Premiere Sandra Pangl oder Maria Neumann auf der Bühne standen. Welche von beiden es auch war - Sie hat ihre Sache gut gemacht, auch wenn bei mir ein bisschen Wehmut aufkam, weil die Jungs in London jedesmal kleine Highlights waren.
Mit Cosette habe ich im allgemeinen und im besonderen immer wieder meine Schwierigkeiten. Die Rolle verlangt einen klassischen Sopran, der selten mein Fall ist. Ob im Film oder auf der Bühne - in meinen Ohren klingt Cosette leider immer sehr anstrengend. Teresa Sedlmair ist optisch ein sehr süßes Mädchen  und spielt mit der nötigen Anmut und Frische. Gesanglich lagen wir trotzdem nicht auf einer Wellenlänge, da sie die Rolle sehr operettenhaft anlegt. Das ist sicher gewollt, trifft aber leider nicht meinen persönlichen Geschmack.
Hingegen mochte ich die Barrikaden-Jungs um Anführer Enjolras (Marc Lamberty) - allen voran Oliver Arno als Marius mal wieder sehr! Man möchte gleich aufspringen und "Revolution" brüllen. Oliver ist mit Anfang 30 zwar eigentlich ein bisschen alt für den jugendlichen Revolutionär, wirkt aber sehr jung und gefällt mir auch gesanglich sehr gut. Eponines Tod (Der Regen) und vorallem seine Interpretation von "Dunkles Schweigen an den Tischen" war für mich ein echtes Highlight. Ich musste schwer schlucken, als er den Tod seiner Kameraden betrauert und dabei alle nochmal namentlich erwähnt. Das kannte ich in dieser Form nicht und hat mir jedesmal, wenn er einen Namen murmelte oder hinausschrie nochmal einen zusätzlichen Stich ins Herz versetzt. 


Eine gute Stelle sich zu fragen, wieso man ein Stück so liebt, das einen eigentlich permanent leiden lässt?! Ich weiß darauf keine andere Antwort, als die, die ich schon im Bezug auf London gegeben habe:  Les Misérables ist oft düster und bedrückend, aber es reißt einen auch emotional mit und es wirkt nachhaltig. Die Geschichte berührt einen und klingt noch lange nach. Dramatische, aber auch komische oder romantische Szenen sorgen dafür, dass man am Ende aufgewühlt aber auch zufrieden das Theater verlässt.
Es gibt Stücke, die einen unterhalten und es gibt Stücke, die man nie vergisst!

Magdeburg hat erheblich dazu beigetragen, dass ich mal wieder einen Les Miserables Rausch habe. *Hicks*. Ob nun in der Freilicht-Fassung auf deutsch oder im Londoner Original. Das Stück hat mich wieder voll in seinen Fängen! Wer die Gelegenheit hat, sollte sie ergreifen und sich ergreifen lassen!!! 


PS: Danke an Bianca, die mir netterweise ein Foto von der Premieren Cast-Liste zur Verfügung gestellt hat. Hier wird auch meine Frage nach Gravoche beantwortet :)
 

Montag, 3. Juni 2013