Donnerstag, 30. Mai 2013

Once, London

Tag 2 in London - Donnerstag, morgens kurz nach 9 Uhr. Mit Sandwich und Kaffee in der Hand gehe ich der Lieblingsbeschäftigung aller Briten nach: Ich reihe mich in eine Schlange ein und denke drüber nach, ob es deshalb immer mehr West-End Theater gibt, die bei der Vergabe von Dayseats mitmachen, weil man sich so schön dafür anstellen kann?
Nochmal kurz für alle: In London gibt es eine ganze Reihe *haha* von Theatern, bei denen man zur Kassenöffnung eine begrenzte Anzahl von Tickets für denselben Tag zum Schnäppchenpreis erwerben kann. Ich habe diese Möglichkeit in den letzten Jahren lieben gelernt. Denn in Zahlen heißt das: 40-60 Minuten warten, 1. Reihe, 25 Pfund. Man darf zwei Tickets pro Person kaufen. Wenn man also „Doppelshow hat“, kann man sich auch aufteilen und seine Reisebegleitung zu den Kriegspferden schicken…, während man selber am Phoenix-Theater für "Once" ansteht.


Eine knappe Stunde später ist der Plan für heute in trockenen Tüchern. 15 Uhr „Once“, 19:30 Uhr „War Horse“ (Letzteres für unfassbare 12 Pfund) und nun erst mal ab nach Covent Garden, wo man den Vormittag sehr schön verbringen kann.

 
Dort gibt es viel zu sehen. Lauter kleine, hübsche Geschäfte, (Floh)makthallen, Straßenkünstler und buntes Treiben. Mittags traditionell eine leckere Portion Fish & Chips und dann langsam seelisch auf den "Broken-Hearted-Hooverfixer-Sucker-Guy" vorbereiten und bloß nicht zu spät zum Theater gehen.

Once, London 30.05.2013 (Matinee) 
Warum die Eile? Ganz einfach: Wenn man pünktlich bei „Once“ im Theatersaal ist, dann ist man im Grunde schon zu spät. Ich weiß gar nicht, ob ich jetzt schon mehr als nur Andeutungen verraten soll… Sagen wir mal so: Auf der Bühne ist schon so einiges los bevor es los geht und man kann das Theater auch mal von einer ganz anderen Perspektive betrachten. Deshalb rate ich dringend dazu mindestens eine halbe Stunde vor Beginn da zu sein!

Wie (fast) alle Theater, ist auch das Phoenix Theatre ein echtes Schmuckstück. Viel roter Samt, Gold, Verspiegelte Decken… Einfach wunderschön!


Es gibt zwei Balkone und Seiten-Boxen. Wer das Theater des Westens schön findet, der wird von den meisten Londoner Theatern hin und weg sein. Mir geht es jedenfalls immer so. Da stört es mich ausnahmsweise auch mal nicht, wenn die Ansteigung nicht sehr ausgeprägt ist und das Holz der Sessel manchmal knarzt. Das alles gehört zu London dazu und ich liebe dieses Feeling. Die erste Reihe ist recht nach an der Bühne, da es keinen Orchestergraben gibt. Den perfekten Blickwinkel hat man sicherlich 2-3 Reihen weiter hinten, aber die Höhe der Bühne ist erträglich und die Show entschädigt für die Nackenstarre. Im Ernst. Es gibt Theater, wo ich trotz günstiger Dayseats von der ersten Reihe abraten würde. Im Phoenix Theatre kann man aber noch recht angenehm sitzen.

Worum geht’s?
"Once" ist eine wunderschöne, kleine, feine, witzige, anrührende und durch und durch herzerwärmende "Guy meets Girl" Story. Er ist Musiker, befindet sich aber derzeit in einer Lebenskrise. Seine Freundin hat ihn verlassen, er hält sich finanziell über Wasser, indem er im Laden seines Vaters Staubsauger repariert ("Broken-hearted-hoover-fixer-sucker-guy"). Er ist kurz davor die Musik an den Nagel zu hängen. Doch dann begegnete er einer jungen Tschechin und sie verändert sein Leben auf ihre ganz besondere Art. Sie ermutigt ihn, weiter an sich und seine Musik zu glauben und bringt ihn dazu ein Demo Tape aufzunehmen. Durch die gemeinsame Liebe zur Musik kommen sich die beiden näher. Doch sie erkennt, dass es keine gemeinsame Zukunft geben kann, weil sie beide noch mit ihrer unabgeschlossenen Vergangenheit zu kämpfen haben.

Wie schon der Independent Film von 2006 ist auch das Musical ein Überraschungserfolg. Mich freut dabei besonders, dass hier kein großes Budget den Ausschlag für Preisregen und die Zuschauergunst gab, sondern einzig und allein die richtige Idee und Umsetzung.
Gestartet ist das Stück am OFF-Broadway. Also in eher kleinem, bescheidenen Rahmen. Doch Aufgrund großer Beliebtheit gelang der Sprung an den „richtigen“ Broadway und gewann letztes Jahr gleich 8 Tony Awards – Darunter der Award für das „Beste Musical“. Seit 2013 begeistert das Stück nun auch das Londoner Publikum. Und das -zum Glück- ohne sich zu verbiegen! Der Umzug von der „kleinen“ Bühne in ein großes Theater hat "Once" nichts an Intimität und Glaubwürdigkeit genommen. Die Kulisse ist weiterhin schlicht. Die Szenenwechsel werden eher angedeutet. Ich mag es sehr, wenn der Zuschauer nicht von Technik und Effekten erschlagen wird und hin und wieder auch mal die eigene Fantasie angeregt wird. Eine Frau am Klavier und ein Mann mit Gitarre sind manchmal alles was man braucht um sich in die Handlung hinein zu versetzen.

Ich glaube, es ist eine der ehrlichsten und gleichzeitig berührendsten Geschichten, die ich bisher auf einer Bühne gesehen habe. Aber keine Sorge – es ist nicht die ganze Zeit ernst und tiefgreifend. Im Gegenteil. Grade durch die ungewöhnliche Art des „Girl“ und ihrer skurrilen Mitbewohner- ist das Stück teilweise extrem amüsant.
Das Musical ist alles was es sein kann und sein sollte - Die Geschichte und vor allem auch die Musik transportieren jede Art von Gefühl. Ich habe abwechselnd Tränen gelacht und geweint, bin in die Songs eingetaucht und wurde von ihnen emotional mitgerissen.

Die Musik würde ich in die Sparte "Singer-Songwriter" mit einer Priese Folk einsortieren. Die Songs stammen aus der Feder von Glen Hansard und Markéta Irglová, die im Film Guy und Girl spielen. Sie sind nicht nur „Beiwerk“, sondern spielen im Stück eine Hauptrolle. Es geht ja gerade darum Songs zu schreiben, sie zu singen und aufzunehmen. Und was für ausdrucksstarke Lieder!!! (Es lohnt sich auch mal einen Blick auf die Lyrics zu werfen, denn es sind Lieder mit viel, viel Aussagekraft). Ich kann gar nicht genau sagen, welcher Song mein Lieblingslied ist... Leave, Gold, Sleeping, The Hill, Abandoned in Bandon^^, JEDES?! :-) Ich hoffe so sehr, dass vielleicht eine CD von der Londoner Cast auf den Markt geworfen wird - Das würde mich mehr als nur glücklich machen!!!

Alle Darsteller spielen ihre Instrumente selbst und sind die meiste Zeit auf der Bühne anwesend - auch, wenn grade keine Szene gespielt wird, in der ihr Charakter vorkommt. Dann sitzen sie auf Stühlen am Bühnenrand oder auf der Bar, die den Hintergrund der Bühne bildet und stimmen ggf. musikalisch mit ein.

Neben Guy und Girl stehen noch 10 1/2 weitere Personen auf der Bühne. Interessanter Weise haben viele Ensemble Mitglieder tatsächlich irische oder slawische Wurzeln, was das Ganze noch authentischer und die Personen noch glaubwürdiger macht.


Das Leben als Understudy ist in London nicht so einfach - Eigentlich spielt fast immer die First-Cast. Nichts desto trotz gibt es bei Once sogenannte "Walk-in Cover" (also Cover, die nicht auf der Bühne stehen, außer jemand fällt aus). Diese müssen dann meist mehrere Rollen drauf haben, um bei Bedarf mal den einen und mal den anderen zu ersetzen. Dass die Hauptrollen außerhalb ihres regulären Urlaubs nicht spielen kommt in London realtiv selten vor, deshalb gibt es auch keine Cast-Listen, wie man sie hier kennt. Wenn mal jemand anderes spielt, wird ein Aushang gemacht. In unserer Matinee-Show am Donnerstag hatten wir gleich 3 Cover auf der Bühne. Neben Geigerin Reza wurden auch die Hauptrollen von 2 Understudies gespielt. 

Grund dafür war - wie sich nachher herausstellte - ein Promoauftritt von Guy und Girl in der 



 "Graham Norton Show". 

So kamen wir kamen in den Genuss Alex Turney in seiner ersten Show als Guy und Phoebe Fildes als Girl zu sehen und zu hören. Ein Wort: Fantastisch! 
Ich kann kaum glauben, dass Alex wirklich das erste mal in der Hauptrolle auf der Bühne stand. Er ist ein sehr überzeugender und sehr nett anzusehender Guy. Ein bisschen schüchertern, ein bisschen zurückhaltend, aber das passt zur Rolle. Denn Guy ist ein eher ruhiger Charakter, der erst in seinen Liedern richtig aufdreht. 
Das Girl ist wie ein Gegenpol: Sie sagt was sie denkt, nimmt die Dinge in die Hand und wirbelt gehörig in Guys Leben herum. Dafür schlägt sie musikalisch eher die ruhige Töne an. Phoebe hat eine wunderschöne Stimme und spielt ausdrucksstark. Auch wenn auch der tschechische Akzent stellenweise nicht ganz echt klingt, fand ich sie in der Rolle sehr überzeugend. An anderer Stelle habe ich schonmal geschrieben, dass man sich hierzulande die Finger nach Darstellern lecken würde, die in London "nur" Understudies sind. 

Girl: "You have heart and soul. These Songs need to be sung for you, for me, for everybody who has lost a love. Don't be sad - you MUST sing!"
Und wir durfte zuhören! Und MUSSTEN es nochmal sehen!



Once, London 31.05.2013
Also hieß es Freitag Abend "Once more"! Oh mein Gott! Beim zweiten Mal achtet man ja nochmal ganz anders auf Kleinigkeiten. Die Show hat mich deshalb noch mehr gepackt als beim ersten mal - wer hätte gedacht, dass das möglich wäre?!

Diesmal waren Declan Bennett und Zrinka Cvitesic zurück on Stage. Wieder ein Wort? Nein, mir fehlen die Worte! Wirklich! 
Verlangt nicht von mir, dass ich hier jetzt eine vernünftige Darsteller-Rezension schreibe. Ich kanns echt nicht!

Declan-Guy hat mich gleich mit dem ersten Ton gepackt. Mit seinen leisen Tönen und auch wenn er seinen ganzen Frust in seine Songs legt und sie der Welt entgegen schreit. 


Hier bei einem Promoauftritt in der Londoner Tube

Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Was für ein Typ. Ich liebe seine Stimme und ich liebe es, dass man nie das Gefühl hat, dass er die Rolle einfach nur spielt, sondern dass sie ihm etwas zu bedeuten scheint. Dass ist übrigens mein Eindruck beim gesamten Ensemble: Es sind alles Vollblut-Musiker und nicht nur "einfach irgendwelche Darsteller".
Zrinka-Girl war schlicht und einfach der Wahnsinn. Sie reißt nicht nur den Guy mit sich, wie ein Wirbelsturm, sondern das gesamte Publikum. Und als sie im zweiten Akt einsam und alleine am Klavier sitzt und bei The Hill in Tränen ausbricht, wem laufen da auch die Tränen?! Dass sie dann bis zum Schluss durch weint, hat es mir nicht leichter gemacht. Das war unfassbar emotional. Ich habe erst einmal jemanden SO in seiner Rolle aufgehen sehen. Interessanterweise war das Lyn Paul in Blood Brothers ungefähr ein halbes Jahr zuvor im selben Theater. Genau wie sie damals konnte man auch bei Zrinka Cvitesic beobachten, wie sie erst beim Schlussapplaus ganz langsam wieder in die Wirklichkeit zurück fand. 
Genauso ging es mir auch und als ich mich umguckte, sah ich sehr viele feuchte Augen und rote Nasen. 
Ich muss nochmal betonen - Im Stück gibt es sehr viel zu lachen, aber eben auch einige Taschentuch Momente. Die perfekte Mischung aus laut und leise, lachen und weinen, leicht und schwer... und so schön!!


So - und jetzt bucht ihr bitte ALLE einen Flug nach London, geht direkt zum Phoenix Theatre zur Charing-Cross Road, stellt euch an der Box Office an, kauft euch ein Ticket für Once und GUCKT ES EUCH AN! Und liebt es! Danke!

Mein Fazit: Diese Show sollte man gesehen haben!


http://www.oncemusical.co.uk/